Menschlich.Empathisch.Solidarisch
Mitglied des 21. Deutschen Bundestages, Für den Börde-Salzlandkreis (WK 67) SachseN-Anhalt
Menschlich.Empathisch.Solidarisch
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19. Oktober 1965:
Uraufführung von Peter Weiss' "Die Ermittlung"
Eine Kulturindustrie des Vergessens gibt den Takt vor
Am 19. Oktober 1965 wurde „Die Ermittlung“ von Peter Weiss uraufgeführt. In Ost- und West-Berlin sowie weiteren Städten in der damaligen DDR und BRD. Peter Weiss, der sich selbst nie verzeihen wollte, den Holocaust im Exil überlebt zu haben, hatte dem Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main beigewohnt und dieses „Oratorium in 11 Gesängen“ aus den Protokollen entwickelt. Diese Protokolle ließen - ganz im Gegensatz zur Bundespolitik der Kanzler-Adenauer-CDU und ihren Fans damals- die Tatmuster und ideologischen Voraussetzungen deutscher Menschheitsverbrechen zwischen 1933 und 1945 sichtbar werden.
Wie auch aus seinem Werk „Das Inferno“ ersichtlich wird, war zumindest die Wirtschaftswunder-BRD nicht wiederzuerkennen für jemanden, der wie Peter Weiss den Holocaust im Exil überlebt hat. Zu diesem Deutschland passte, dass Die Zeitung „Die Welt“ nicht gut auf Peter Weiss zu sprechen war. Da nun in der „Ermittlung“ auch die kapitalistische Verfasstheit NSDAP-Deutschlands nicht verschwiegen wurde, witterte „Die Welt“ tatsächlich „antiwestliche Agitation“. Erwin Piscator (1893-1966), Intendant der Freien Volksbühne in West-Berlin und Regisseur der West-Berliner Uraufführung, hatte neben NSDAP-Deutschland auch den Stalinismus überlebt, um nun als Intendant im Verdacht zu stehen, „antiwestlicher Agitation“ Beihilfe zu leisten. Bereits in den 1920er Jahren war Piscator in Berlin mit seinem politischen, multimedialen Theater, Wegbereiter von Ästhetik und Praxis avancierten Theaters für das 20. und 21. Jahrhundert geworden. Im Programmheft der Berliner Uraufführung 1965 bezog Erwin Piscator Stellung zu den Angriffen der „Welt“ auf Peter Weiss:
„Hier wird aus Verärgerung oder Enttäuschung darüber, dass der Autor Peter Weiss – übrigens lange nach Fertigstellung der „Ermittlung“ – ein höchst unpopuläres politisches Bekenntnis abgelegt hat, sein Werk rückwirkend ideologisch „madig“ gemacht, als benutze er das Thema Auschwitz lediglich als Vehikel für antiwestliche Agitation. Das aber ist eine Unterstellung von infamer Unkenntnis der Sachlage. Peter Weiss beschäftigt sich ausschließlich mit jenen FAKTEN, die Auschwitz heißen; sein Text ist ein „Konzentrat der Aussage“ (Weiss) des Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Es kann durchaus sein, dass die FAKTEN gegen uns sprechen, gegen unsere Art, sie zu bewältigen; sie sprechen aber auf jeden Fall gegen eine Publizistik, die die Fakten um jeden Preis als manipulierte Propaganda abzustempeln sucht.“
Im Schatten des neuen Hauptfeindes UDSSR ließen sich deutsche Verbrechen beschweigen, die Täter befördern, deren Opfer totschweigen: Hans Globke, engster Berater und Vertrauter von Kanzler Adenauer (1953 bis 1963) und mitverantwortlich für die „Nürnberger Rassengesetze“, stand ursprünglich auch für eines der vielen Gesichter faschistischer Kontinuitäten in Peter Weiss‘ Stück „Inferno“ Modell. Anfangs als Teil einer Dante-Trilogie (Inferno-Purgatorio-Paradiso) konzipiert, löste Weiss „Die Ermittlung“ („Paradiso“) schließlich aus dem Konvolut heraus. Das „Purgatorio“ hat Weiss nicht vollendet, das „Inferno“ legt ebenso realistisches wie surreales Zeugnis ab von einem Deutschland, das für einen Menschen, der aus dem Exil „heimzukehren“ versucht, viele Fratzen im Repertoire hat – und sich an nichts und niemanden erinnert: Der antisemitische Faschismus eines „Tausendjährigen Reiches“ ist nun ungeschriebenes Gesetz einer „funktionierenden“ Wirtschaft und Kulturindustrie geworden. Wer wie Dante Alighieri in Peter Weiss‘ „Inferno“ der geliebten Beatrice seine Kunst gewidmet hat, sieht sich einem Deutschland gegenüber, dem die Vernichtung von Mensch und Kunst unter dem Namen „Beatrice“ durch den Holocaust, keine Pause im Betriebsablauf wert ist:
„Jetzt Alighieri / denke dir ein andres Bild / das schnell verging“
Eine Kulturindustrie des Vergessens gibt den Takt vor.
Peter Weiss‘ „Inferno“ und „Die Ermittlung“ vermitteln auch eine Vorstellung davon, mit welcher Ohnmacht Überlebende der Shoa und aller anderen deutschen NS-Völkermorde sich einem solchen Deutschland jahrzehntelang gegenübersahen: Bis aus Konzentrationslagern wenigstens Gedenkstätten wurden, Bund und Länder sich zu gemeinsamer Verantwortung durchrangen – viele Opfer des deutschen Faschismus die Leugnung ihrer Existenz bis ans Ende ihres Lebens hatten erleiden müssen.
19. Oktober 1965
Uraufführung
Die Ermittlung
Oratorium in 11 Gesängen
von Peter Weiss
(8. November 1916 / Nowawes bei Potsdam bis 10. Mai 1982 / Stockholm)
UA in West-Berlin: Freie Volksbühne.
Regie und Intendanz des Hauses: Erwin Piscator (17. Dezember 1893/ Ulm bis 30. März 1966 /Starnberg)
Die Uraufführungsorte in BRD und DDR waren:
West-Berlin, Ost-Berlin, Altenburg, Cottbus, Dresden, Erfurt, Essen, Gera, Köln, Leipzig, Leuna, München, Neustrelitz, Rostock
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Gedanken zu den nachfolgenden Zitaten aus den Werken von Peter Weiss
In seinem Beitrag zu „Deutsche Autoren über ihren Ort“, ebenso wie „Die Ermittlung“ 1965 veröffentlicht bzw. uraufgeführt, beschreibt Peter Weiss seinen Besuch der ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager in Auschwitz. Für ihn ist dieser Ort etwas Bleibendes, die furchtbare Persiflage jeder Rede vom „Schicksalhaften“ und gleichzeitig dessen Realität: Peter Weiss war für diesen (Un-)Ort der totalen Vernichtung bestimmt. Das „Bleibende“ dieses (Un-)Ortes ist gleichzeitig „persönlich“ und repräsentativ für die Weigerung der Bundesrepublik, sich ernsthaft der eigenen Verantwortung zu stellen. Als Zeichen dafür steht am Ende der ausgewählten Passage des Textes ein Satz im Präsenz: „Auf dem Bahnhof von Auschwitz scheppern die Güterzüge.“ Im Scheppern ist die totale Leugnung von Menschen, ihre Herabstufung zu „Gütern“ und „Vieh“ gleichbleibend präsent.
Wenn Zeuge 1 in „Die Ermittlung“ die Leere dieser Züge damit „erklärt“, die Menschen, die er überhaupt nicht gesehen haben will, seien „dort angesiedelt worden“, kann auch dieses „Scheppern“ aus dem autobiographischen Text von Peter Weiss eine solche Leugnung, Verachtung und Vernichtung von Menschen kommentieren.
„ja das war Kunst“: Nostalgie-Seufzer eines saturierten Bildungsbürgertums, das kein Problem damit hat, sich an vergangenen „Ewigkeiten“ zu erfreuen und deren „ewige“ Reproduzierbarkeit zu bejubeln. Die Shoa, die einen solchen Kunstbegriff allerspätestens hätte als zynisch und obsolet erscheinen lassen können, wird – dank unendlicher Reproduzierbarkeit von „Schönheit“ und „Ewigkeit“ – und mit ihr alle Opfer und Überlebenden ignoriert:
„Jetzt Alighieri
denke dir ein andres Bild
das schnell verging“
Auszug aus: Peter Weiss. Meine Ortschaft.
In: Atlas – Deutsche Autoren über ihren Ort. Herausgegeben von Klaus Wagenbach. Verlag Klaus Wagenbach Berlin 1965.
Die Städte, in denen ich lebte, in deren Häusern ich wohnte, auf deren Straßen ich ging, mit deren Bewohnern ich sprach, haben keine bestimmten Konturen, sie fließen ineinander … sie sind vorhanden im Grundmuster meines Umherwanderns …
Nur diese eine Ortschaft, von der ich seit langem wusste, doch die ich erst spät sah, liegt gänzlich für sich. Es ist eine Ortschaft, für die ich bestimmt war und der ich entkam. Ich habe selbst nichts in dieser Ortschaft erfahren. …
Ich habe keine andere Beziehung zu ihr, als dass mein Name auf den Listen derer stand, die dorthin für immer übersiedelt werden sollten. Zwanzig Jahre danach habe ich diese Ortschaft gesehen. Sie ist unveränderlich. …
Auf dem Bahnhof von Auschwitz scheppern die Güterzüge.
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Peter Weiss. Die Ermittlung.
In: Peter Weiss. Dramen 2. Suhrkamp/Frankfurt am Main 1968.
…Richter: Sie wussten
dass die Züge mit Menschen beladen waren
Zeuge 1: Wir erfuhren nur
dass es sich um Umsiedlertransporte handelte
die unter dem Schutz des Reiches standen
Richter: Über die vom Lager regelmäßig
zurückkehrenden Leerzüge
haben sie sich keine Gedanken gemacht
Zeuge 1: Die beförderten Menschen
waren dort angesiedelt worden
…
Peter Weiss. Inferno. Herausgegeben von Christoph Weiß.
Suhrkamp/Frankfurt am Main 2003.
Dante:
Ich gehöre zu den letzten
die noch am Leben sind von jenen
die zur Verbrennung verurteilt wurden
Wenn wir vergehn vergeht auch
jede Erinnerung an sie
Sie dich ich nicht mehr erreichen konnte
ging den Weg dem ich entkam
mir blieb nur übrig
sie in meinen Gedanken
lebendig zu erhalten.
Tschakko:
Ich hab mal ein Gedicht von dir gelesen
in dem Gedicht beschriebst du ihre Schönheit
…
ja das war Kunst
das war ein Bild das sich
für alle Ewigkeiten hielt
Jetzt Alighieri
denke dir ein andres Bild
das schnell verging

Das Foto zeigt das Programmheft der Uraufführung auf der Fraktionsebene des Bundestags. Im Programmheft ist eine Szene abgebildet, in der Regisseur Erwin Piscator mit den Schauspieler:innen die Vorbereitung der Uraufführung an der Freien Volksbühne bespricht.
Foto: Carsten Jenß

Der Gedenkort „Passagen“ (entworfen von Dani Karavan) ist ein 1994 eröffnetes Denkmal für den jüdisch-deutschen Philosophen Walter Benjamin und die Exilierten der Jahre 1933–1945 an seinem Sterbeort Portbou an der Costa Brava.
Foto: Wamito
Walter Benjamin – jüdisch-deutscher Philosoph, Exilant, Opfer des Faschismus. Seine Flucht vor den Nationalsozialisten endete in Portbou. Verzweifelt angesichts drohender Auslieferung an die Gestapo und nach tagelanger Flucht ohne Aussicht auf Rettung, nahm sich Benjamin am 26.09.1940 das Leben – also heute vor 85 Jahren. Dani Karavans Denkmal „Passagen“ befindet sich am Friedhof von Portbou, dort, wo Benjamin bestattet wurde. Das Denkmal erinnert an ihn und Benjamin erinnert uns an alle, die vor dem faschistischen Terror fliehen mussten, und an all jene Opfer faschistischer Gewalt, die totgeschwiegen und aus der Geschichte gedrängt wurden.
Linke Erinnerungspolitik heißt Widerstand: Wir machen die Geschichten der vom Faschismus, Antisemitismus und Rassismus Verfolgten, Widerständigen und Namenlosen sichtbar. Gerade jetzt ist das Erinnern ein politischer Akt gegen das Vergessen, gegen rechte Geschichtsverzerrung und für Solidarität mit denjenigen, deren Stimmen totgeschwiegen und aus der Geschichte gedrängt wurden.
Unser Auftrag ist es, an Geschichten von Widerstand und Verfolgung zu erinnern. Sie müssen unser kollektives Bewusstsein prägen. Sie müssen uns warnen vor rechten, faschistischen Kräften, die gerade heute immer lauter werden. Wir dürfen nicht wegschauen. Solidarität heißt: Zusammenstehen, Hass entgegentreten und gemeinsam für eine offene Gesellschaft zu kämpfen.
Heute jährt sich der faschistische Militärputsch in Chile zum 52. Mal. Mit massiver Unterstützung der USA wurde der demokratisch gewählte Präsident Salvador Allende gestürzt und das erste Experiment des Aufbaus eines demokratischen und pluralistischen Sozialismus blutig beendet.
Die Regierung der Unidad Popular (UP), ein Zusammenschluss aus Sozialisten, Kommunisten, radikalen Republikanern, ehemaligen Christdemokraten und anderen Linken, hatte ab 1970 Neuland beschritten: Auf die Nationalisierung des Kupferbergbaus und die Forcierung der Agrarreform folgten die Nationalisierung der Schlüsselindustrien, die Umverteilung zugunsten der bislang Benachteiligten und die Ausweitung der demokratischen Mitsprache für Arbeiter, Bauern und Studenten. Überall auf der Welt verfolgten Linke gespannt die Entwicklungen in Chile und schöpften daraus Hoffnung auf einen demokratischen Weg zum Sozialismus auch in ihren Ländern.
Nachdem die UP bei den Parlamentswahlen im März 1973 ihr Wahlergebnis deutlich verbessern konnte, entschloss sich die rechte Armeeführung mit Unterstützung der oppositionellen Christdemokraten und der CIA für einen Militärputsch gegen die Demokratie. Die Bundesregierung unter dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt war über Pläne der Junta unter Führung General Augusto Pinochets vorab informiert, unterließ es aber bewusst Allende zu warnen.
Nach dem 11. September 1973 war Chile ein anderes Land: In den 17 Jahren der Diktatur Augusto Pinochets verschwanden 3.200 Menschen oder wurden ermordet, 80.000 wurden inhaftiert, 200.000 flohen aus politischen Gründen ins Ausland, die Gewerkschaften wurden zerschlagen, jeder Widerstand brutal verfolgt. In diesem Klima blutiger Repression konnten die "Chicago-Boys" ab 1978 den ersten neoliberalen Feldversuch starten.
Zum Gedenken an die Opfer der Pinochet-Diktatur gehört auch, dass endlich das schmutzige Kapitel der bundesdeutschen Unterstützung des Regimes vollständig aufgearbeitet wird. Denn da war nicht nur Brandts Schweigen vor dem 11. September: Aus der Bundesrepublik erfuhr die Militärdiktatur umgehend politische Anerkennung und Unterstützung. Führende Unionspolitiker wie der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) äußerten sich überschwänglich positiv über das antikommunistische Regime und reisten regelmäßig nach Chile. In der Folge gedieh die wirtschaftliche und politische Kooperation der Bundesregierung mit dem Pinochet-Regime. Die Kenntnis von massenhafter Folter und der Ermordung Oppositioneller oder systematischen Menschenrechtsverletzungen in der deutschen Sektensiedlung "Colonia Dignidad", führte nicht zu Sanktionen oder öffentlicher Kritik, im Gegenteil: Mit Waffenlieferungen wurde die Junta aufgerüstet und belohnt.
Angebracht wäre es daher, wenn die Bundesregierung den heutigen Jahrestag zum Anlass nähme sich endlich kritisch mit der deutschen Rolle beim faschistischen Militärputsch und der darauffolgenden 17jährigen Unterstützung der Pinochet-Diktatur auseinanderzusetzen. Auch eine offizielle Entschuldigung bei der chilenischen Regierung und den zahllosen Opfern ist mehr als angebracht.

Foto: James N. Wallace
Quelle:https://commons.wikimedia.org/wiki/Salvador_Allende#/media/File:Allende_supporters.jpg

Schlosskirche Ellingen (Bayern), April 1945, Wikimedia Commons
„Hunderttausende Kunstwerke wurden von den Nazis zwischen 1933 und 1945 geraubt und nur ein Bruchteil davon wurde bislang den früheren Besitzern zurückgegeben. Trotz aller Reden und Bekenntnisse zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und vielen Versprechungen war die Bundesrepublik bislang nicht in der Lage oder Willens, das NS-Unrecht im Hinblick auf die Kulturgüter angemessen und umfassend wiedergutzumachen. Bis heute wird jegliche grundlegende Reform der (Eigentums-) Rechtslage zugunsten der Opfer und ihrer Nachfahren vermieden, da dadurch die Interessen der Tausenden öffentlichen und privaten Besitzer von NS-Raubkunst tangiert und eine staatliche Entschädigungspflicht auf die Tagesordnung käme.
Leider hat die Ampel auch bei diesem Thema völlig versagt. Jetzt muss die Regierung Merz endlich der Verpflichtung nachkommen und 80 Jahre nach dem militärischen Sieg über den Faschismus das NS-Raubkunstproblem im Sinne der Opfer lösen. Es ist gut, dass Union und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung ein wirksames Restitutionsgesetz versprechen. Ein solides und umfassendes Restitutionsgesetz müsste klare Regeln für die Rückgabe und Entschädigung nationalsozialistischer Raubkunst enthalten und neben der Stärkung der Auskunftsrechte für die Betroffenen und der einseitigen Anrufbarkeit endlich die Hauptprobleme angehen: Sowohl die Verjährung als auch die sogenannte Ersitzung, also der ganz legale Erwerb der geraubten Kunstwerke nach einer bestimmten Besitzzeit müssen wie der ‚Erwerb im guten Glauben‘, den es bei NS-Raubgut generell nicht geben darf, kategorisch ausgeschlossen werden.
Leider sind jedoch Zweifel mehr als angebracht, ob eine Unions-geführte Bundesregierung und ein Kulturstaatsminister Weimer dieser Aufgabe nachkommen werden. Denn die bisherigen Beschlüsse von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zur Schiedsgerichtsbarkeit sind insbesondere auf Druck der Unions-geführten Bundesländer entstanden und ungenügend. Der Protest der Opferverbände und Nachfahren der Beraubten ist daher völlig verständlich. Anders als behauptet würden die Opfer durch die geplante Schiedsgerichtsbarkeit nämlich nicht gestärkt, sondern einem aufwendigen und komplizierten zivilrechtlichen Verfahren unterworfen. Bei diesem ist bis heute nicht absehbar, wann die Schiedspersonen für den Pool feststehen werden, inwieweit tatsächlich eine angemessene Berücksichtigung der Opfer und ihrer Nachfahren gewährleitet wird und wann überhaupt die Schiedsstelle ihre Arbeit aufnehmen könnte. Zudem ist überhaupt nicht einzusehen, dass die alleinige Anrufbarkeit bei privaten Haltern von Kulturgut, wie Galerien, Auktionshäuser, Unternehmen, Stiftungen etc. aber auch Privatpersonen nicht gelten soll.
Der vereinbarte „Bewertungsrahmen“, der etliche zweifelhafte Formulierungen enthält und eher eine Verschlechterung für die Opfer bedeuten würde, muss dringend überarbeitet und eine öffentliche Debatte ermöglicht werden. Und solange nicht geklärt ist, wie das Verfahren funktionieren soll, wenn 10.000 Kommunen mit Kultureinrichtungen die NS-Raubgut besitzen, sich nicht zu den Schiedsverfahren bekannt haben, sind die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz Makulatur.
Deshalb sollte der neue BKM schnellstmöglich dafür Sorge tragen, dass der Beschluss zur Auflösung der „Beratenden Kommission NS-Raubgut“ rückgängig und diese wieder arbeitsfähig gemacht werden, bis bei all den Fragen Klarheit herrscht und ein umfassendes Restitutionsgesetz vom Bundestag verabschiedet wurde.“
„Am interessantesten an den fünf Seiten zum Bereich „Kultur und Medien“ im Koalitionsvertrag ist wahrscheinlich, was darin alles keine Erwähnung findet. So enthält der Text im Vergleich zum Sondierungspapier von Ende März 2025 deutlich weniger Vorhaben und Schwerpunkte. Am auffälligsten ist hier sicherlich die Streichung der Forderung, Kultur zum „Staatsziel“ und damit zum Verfassungsgegenstand zu erklären. Dadurch wurde die Chance vertan, endlich politische und juristische Instrumente für eine Kulturpolitik auf Augenhöhe zu schaffen. Stattdessen heißt es nun: „Unser Land ist ein Kulturstaat, reich an Traditionen und Bräuchen, an Kunst, Architektur, Literatur und Musik, an Geschichte und religiöser Vielfalt — in Stadt und Land“. Eine Formulierung die vermutlich den Leitkultur-Propagandisten der Union entgegenkommt. Auch die Errichtung einer Bundesstiftung Industriekultur sowie die geplante Einsetzung einer Enquete-Kommission „Demokratiebewusstsein durch Erinnerung an Diktatur und Unrecht“ wurden abgesagt. Von vornherein fanden zahlreiche Aufgaben im Feld der Erinnerungspolitik, wie die überfällige Umsetzung der Bundestagsbeschlüsse vom Oktober 2020 zur Errichtung eines Dokumentationszentrums »Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa« (ZWBE) und eines »Deutsch-Polnischen-Haus« (DPH) keinen Eingang in den Vertrag. Auch zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen gegen „Berufsverbrecher“ und „Asoziale“ oder über Vorhaben zur Erinnerung an die Opfer der NS-„Euthanasie“ wird kein Wort verloren. Dagegen wurde der „Förderung des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen“ eigens ein kurzes Kapitel gewidmet. Immerhin werden die Erinnerung und Aufarbeitung von Nationalsozialismus, „SED-Diktatur“ und Kolonialismus in einem kurzen Absatz und mit dem Bekenntnis, die Gedenkstättenkonzeption des Bundes „wissenschaftsgeleitet und im Austausch mit den Akteuren“ anzupassen, abgehandelt. Wie aber beispielsweise die „Aufarbeitung des Kolonialismus intensiviert“ werden soll, wird nicht weiter erläutert. Positiv ist das Bekenntnis zur Intensivierung der Provenienzforschung und die Ankündigung eines wirksamen Restitutionsgesetzes. Aber auch hier fehlen alle Details, so dass man abwarten muss, wie die Umsetzung aussehen wird.
Ebenfalls viel zu unkonkret wirkt die Ankündigung, „Mindestgagen und Honoraruntergrenzen berücksichtigen“ zu wollen. Völlig unerwähnt ist die Rolle von Kulturakteur*innen, Initiativen und zivilgesellschaftlichen Akteuren in Entscheidungsprozessen. Auch Programme für alle, allen voran einkommensschwache Gruppen, die die kulturelle Teilhabe und Bildung sichern, sucht man – bis auf den ländlichen Raum - weitestgehend vergeblich. Vergleichsweise klar sind einige Teile im Medienkapitel, in dem z.B. versprochen wird „Kulturschutzgebiete“ einzurichten, in denen Bestandsschutz gilt und Clubs als Kulturorte durch die Baunutzungsverordnung anerkannt werden sollen. Das Bekenntnis, die Reform der Filmförderung mit den ausstehenden Säulen (steuerliches Anreizsystem und Investitionsverpflichtung) weiterzuführen, ebenso wie die angekündigte verlässliche Investitionsförderung für Kinos sind positiv. Bedenklich ist allerdings, dass die kulturelle Förderung aus Bundesmitteln und ihre notwendige Stärkung im Rahmen der Gesamtreform mit keinem Wort erwähnt wird.
Den Koalitionsvertrag durchzieht zudem ein affirmativer Kulturbegriff, der nicht einmal das Bestehende sichert: Etablierte Strukturen werden zwar formal bestätigt, deren mittel- und langfristige Finanzierung und Förderung bleibt jedoch vage. Union und SPD folgen im Kern der neoliberalen Agenda der Einteilung in einen Bereich der politisch nützlichen Staatskultur und dem kulturellen Markt, der sich durch „Kultur-Sponsoring, Mäzenatentum, private Stiftungen und Wirtschaftskooperationen“ finanzieren soll. So wird der gesamte Koalitionsvertrag stark von den Ideen Effizienzsteigerung, Digitalisierung und Public-Private-Partnerships durchzogen. Eine Kulturpolitik, die künstlerisches und kulturelles Schaffen Marktgesetzen unterwirft und zur Ware degradiert, steht jedoch im Widerspruch zur betonten Gesellschaftsrelevanz von Kultur und zur Freiheit der Kunst.
Dazu passt, dass das sowieso schmale Budget von 2,2 Mrd. Euro explizit durch den Finanzierungsvorbehalt in Frage gestellt wird. Was damit gemeint sein könnte, dass „die Bundeskulturpolitik […] im kooperativen Kulturföderalismus mehr als eine Ergänzung der Kulturhoheit der Länder [ist]", wird somit leider nicht deutlich.
So nichtssagend wie der Koalitionsvertrag in weiten Teilen ist, so sehr muss man davon ausgehen, dass gerade die Personalie Wolfram Weimer als neuer Kulturstaatsminister von entscheidender Bedeutung sein wird. Denn wofür der erzkonservative Journalist, Buchautor und Medienverleger politisch steht, hat er nie einen Zweifel gelassen. In seinem Buch „Das konservative Manifest“ hielt er 2018 Familie und Christentum hoch, seine Sorge galt der „Fortdauer des eigenen Bluts“ sowie der „biologischen Selbstaufgabe“ Europas.
Die Ernennung von Weimer zeigt zweierlei: Erstens geht es Friedrich Merz offensichtlich nicht um Qualifikation und Erfahrung, denn beides besitzt Weimer im Kulturbereich nicht. Stattdessen dürfte mit ihm die Wirtschaftsförderung im Medienbereich zunehmen. Zweitens drohen mit diesem Kulturstaatsminister und seinem reaktionären Kulturverständnis und Gesellschaftsbild alle schön klingenden Sätze im Koalitionsvertrag, zur "Förderung der Vielfalt der Kultur" und zur "Freiheit der Kunst", zur Makulatur zu werden. Denn seine Ernennung erfolgt ganz im Geist des CDU-Wahlprogramms und den Ideen einer deutschen Leitkultur. Weimer verheißt eine Trumpisierung der deutschen Kulturpolitik und zu befürchten ist, dass der seit Jahren von rechts forcierte Kulturkampf mit ihm weiter eskalieren und es zu einem erinnerungspolitischen Rollback kommen wird.
Jenseits von absehbaren Sparmaßnahmen drohen der Kultur hierzulande somit unsichere und schwere Zeiten.“


Linke Politik
richtet sich an all jene Menschen, die vergessen oder verdrängt worden sind. Linke Politik richtet sich an all jene, die aus ihrer sozialen
Abhängigkeit heraus kaum die Möglichkeit haben, an ihrer Situation etwas zu verändern.
Linke Politik
richtet sich an alle, die nicht gehört werden, deren
Stimmen untergehen im Meinungskampf. Linke Politik ist Solidarität, ist Gerechtig-keit, ist Chancengleichheit.
Linke Politik
wird nicht aufhören, all jene anzuklagen, die rücksichtslos und auf Kosten ihrer Mitmenschen und unserer Umwelt ungebremst nach maximalen Profit streben. All jene, die trotz globaler Krisen jeden Tag noch ein Stück reicher und reicher werden. Jene, die es sich leisten können auf Politikerinnen und Politiker Einfluss zu üben, um Gesetze nach ihrem Willen durchzusetzen.
Linke Politik
richtet sich auch gegen jene, die meinen ihre Freiheit stünde meilenweit über der Freiheit aller anderen: gegen Rassismus, gegen Faschismus, gegen Ausgrenzung und nationalistisches Denken.
Linke Politik
richtet sich an alle, die sich für Offenheit und Toleranz, für unser Klima – gesellschaftlich wie ökologisch -, für Solidarität und Mitmenschlichkeit einsetzen und dafür bereit sind auf die Straße zu gehen.
Um die Kulturlandschaft in unserem Land nachhaltig zu schützen und zu fördern, braucht es nicht nur zwingend strukturelle, finanzielle und personelle Verbesserungen. Es braucht auch die politische Wahrnehmung und Wertschätzung für all jene, die als Künstler*innen und Kulturschaffende in unserem Land mit aller Leidenschaft, Power, sich mit Leib und Seele für ein buntes, vielfältiges und kulturvolles Leben einsetzend, tagtäglich Kinder zum Lachen, Erwachsene zum Staunen und somit die Menschen zueinander bringen. Und ich sag es einmal ganz simpel: um z.B. Theater zu machen, braucht es mindestens zwei: einer, der spielt und einer, der zuschaut … Kunst und Kultur beleben ihre Umgebung, machen Standorte attraktiv, steigern das gesellschaftliche Lebensgefühl.
Ohne Kunst würde es still.
Kooperativer Kulturföderalismus statt Kooperationsverbot. Ich setze mich dafür ein, dass die Förderung und der Schutz von Kunst und Kultur als Staatsziel grundgesetzlich verankert wird und zur Gemeinschaftsaufgabe wird.
Jedem Kind, jedem Jugendlichen, jedem Erwachsen muss die Möglichkeit gegeben sein, unabhängig vom Geldbeutel und vom Wohnort, gleichberechtigt an allen Formen von Kulturangeboten und Kulturleben, ob aktiv oder passiv, teilhaben zu können.
Die sozialen und gesellschaftlich genormten Standards finden sich in der Grundabsicherung für unstetig Beschäftigte, Freischaffende und Soloselbständige nicht annähernd wieder. Deshalb fordern wir die Einbeziehung aller in die gesetzlichen Sozialsicherungssysteme (Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosen-versicherung).
Die Entlohnung im Kulturbereich darf nicht aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, der Klasse oder Hautfarbe unterschiedlich ausfallen.
Ob Freischaffender, ob Soloselbstständiger, oder Festangestellte: die Arbeits-bedingungen sind für viele prekär. Ob Schauspieler*innen, Musikschullehrer*innen, Schriftsteller*innen oder Fotograf*in … Ich stehe mit voller Solidarität an der Seite von Gewerkschaften, Interessen-vertretungen und Vereinen, um ihnen Gehör zu verschaffen und um die Arbeitsbedingungen langfristig und den allgemeinen sozialen Standards angepasst deutlich zu verbessern. Kulturbetriebe dürfen durchaus attraktive Arbeitgeber sein ;).
Bisher ist die Kulturpolitik auf Bundesebene dem Kanzleramt zugeordnet und hat somit keinen eigenen Vertreter auf Minister-Ebene am Kabinettstisch der Bundesregierung. Um jedoch wirksamer für die Belange der Kultur gegenüber anderen Ressorts sowie auf europäischer Ebene einzutreten und streiten zu können, braucht es ein Bundeskulturministerium.
Die Bundeskulturförderung muss nachhaltiger, prozesshafter, unbürokratischer und weniger projektorientiert gestaltet werden. Insbesondere im ländlichen Raum braucht es neben der Projektförderung langfristige Basisförder-programme, um nachhaltig Strukturen zu erhalten und die kontinuierliche Arbeit der Kulturschaffenden und Vereine zu sichern.
Unsere bunte, internationale und für Offenheit und Toleranz eintretende Kulturlandschaft muss vor rechten Attacken wirkungsvoll geschützt werden. Auch muss der von der AfD künstlich herbeigezüchtete „Kulturkampf“ mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden.
Jeglicher Art von Diskriminierung im Kulturbereich sollte vorgebeugt und Betroffene umfassend geschützt werden. Der Grat zwischen Befindlichkeit und echter Verletzung ist schmal, schon allein, weil Diskriminierung selbst oft Gegenstand künstlerischer Auseinander-setzung ist. Es braucht hierfür ausreichend finanzierte und öffentlich geförderte Anlaufstellen mit psychologisch geschultem Personal.
Die Kommunen müssen ausreichend Mittel erhalten, damit sie ihren Aufgaben in der Kulturpflege und Kultur-förderung nachkommen können.
Es braucht der Gegenwart angepasste aber ausbalancierte Strukturen in den Kulturbetrieben: z.B. das Leitungskollektiv-Modell, mehr Mitbestimmungsrecht der Ensembles, mehr Transparenz in der Vergabe von Leitungsposten. Möglichem Machtmissbrauch muss auch auf diesem Wege begegnet werden. Es braucht wirksame Instrumente, um strukturelle Probleme aufzudecken und zu minimieren.
Kulturelle Bildung schafft Zugänge zu Kunst und Kultur, um Menschen eine kreative Auseinandersetzung mit sich und ihrer Umgebung zu ermöglichen. Orte kultureller Bildung dienen deshalb als Räume der Selbstbildung, der Selbst-ermächtigung und müssen gestärkt sowie nachhaltig gefördert werden.
Sozio-kulturelle Vereine sind insbesondere im ländlichen Raum von großer Bedeutung. Sie verbinden Kreativität mit sozialem Miteinander und stärken somit das Gemeinwesen. Sie müssen durch die Kommunen ausreichend und langfristig erhalten, geschützt sowie gefördert werden.
Theater müssen als Arbeitgeber attraktiver werden: Stetiger Abbau von Personal, Erhöhung der Produktionsdichten, Auslastungsdruck, schlechte Bezahlung, Arbeitszeiten, Residenzpflicht und wenig Mitbestimmungsrechte führen in die falsche Richtung. An der Seite von GdBA und ensemble.netzwerk müssen wir für faire Arbeitsbedingungen und eine quotenbedingte Entlastung der Theaterbetriebe sorgen.
Jede geschlossene Bibliothek ist ein herber und nicht hinnehmbarer Verlust. Gerade im ländlichen Raum brauchen wir gut ausgestattete und dem digitalen Zeitalter angepasste Bibliotheken.
Es braucht verbindliche Mindeststandards der Honorierung in der freien Kunst- und Kulturarbeit, branchenspezifische Honoraruntergrenzen und eine rechtlich abgesicherte Ausstellungsvergütung für bildende Künstler*innen. Die Verhandlungsposition von Kreativen muss im Urhebervertragsrecht gestärkt und ihre Mitbestimmungsrechte müssen gegenüber Verwertungsgesellschaften ausgebaut werden.
Clubkultur ist ein wichtiger und wertvoller Teil unserer Kultur, Freiräume, in denen Menschen Musik genießen, tanzen und feiern können. Deshalb wollen wir die Club- und Festivalkultur fördern und erhalten.
Für viele freie Kulturschaffende ist die Zeit, die sie mit dem Ausfüllen von Anträgen verbringen oder allein schon die Zeit, die es braucht um im Förderdschungel und seinen Richtlinien durchzublicken, Zeit, die ihnen für die Kulturarbeit fehlt. Hier bedarf es einer grundsätzlichen Vereinfachung und Flexibilisierung, damit das Zwei-Klassen-Prinzip zwischen projektorientierter und institutionalisierter Förderung beendet werden kann. Freie Szene und Kulturinstitutionen dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.
Bei der Anpassung an klimaneutrale Anforderungen brauchen Kulturbetriebe Beratung, Unterstützung und finanzielle Unterstützung. Auch hier müssen klimafreundliche Veränderungen Einzug halten.
Ob Heimat- oder Sportverein – Kultur hört nicht beim geschriebenen, gesprochenen oder gesungenen Wort auf. Kultur ist die Pflege des Miteinanders und deshalb braucht das Vereinsleben die nötige Ausstattung und eine langfristige Sicherung. Für das Leben im ländlichen Raum sind sie unabdingbar.
Der Förderung von genossenschaftlich organisierten Kulturbetrieben sollte als zukünftiges Modell insbesondere für den ländlichen Raum weiter gedacht und ausgebaut werden.
Kultur ist so unendlich vielseitig. Sprecht mich gerne an, wenn etwas fehlt, wenn ihr Fragen habt ...
“Künstler und Wissenschaftler leben eigentlich von jeher, was ihre Arbeit betrifft, im Kommunismus. Oder wollen Sie behaupten, Rembrandt und Dürer, Einstein und Marx hätten ihre Arbeit als Fessel empfunden? Nein ... Sie bildeten darin lediglich die Ausnahme. Später, davon bin ich überzeugt, wird im übertragenen Sinne jeder Mensch einmal ein Künstler oder Forscher sein. Und als Begriff wird Arbeit etwa diese Bedeutung erhalten: Spiel zum Wohle der Gesellschaft. Kunst ist heute schon ein solches Spiel. Könnten wir uns darauf einigen."
- aus "Spur der Steine", Erik Neutsch
Kunst und Kultur sind für mich mehr als nur Theater, Musik und Malerei, mehr als Architektur, als Literatur, mehr als Zirkus, Kunsthandwerk und Musical, mehr als Tanz und Puppenspiel, mehr als Fotografie, als Ästhetik, Shakespeare und Schiller, als Film und Schaustellertum, als Poesie, Comics, Synchronsprechen, Pantomime …
Kunst und Kultur verbinden für mich das Fremde mit dem Bekannten. Sie zeigen uns, wer wir sind, wer wir sein könnten, wer wir nicht sein wollen. Kunst und Kultur sind für mich Ausdruck eines Traums und sein Zerbrechen an der Wirklichkeit. Dadurch werden Kunst und Kultur zum Gradmesser unserer Gegenwart. Gleichzeitig lassen Kunst und Kultur die Zeit für einen Moment stillstehen, lassen uns innehalten. Sie entlassen uns für einen Moment von den Nützlichkeitsanforderung unseres Alltags. Kunst und Kultur sprechen so viele Sprachen, haben so vielen Gesichter, sind bunt und voll von Geschichten. Geschichten, die die Menschen verbinden, die unsere Erfahrungen und unsere Kritik an den Verhältnissen kollektiv teilbar werden lassen. Kunst und Kultur aktivieren und laden zum Mitmachen und zum Teilhaben ein.
Hier werden alle ausgequetscht wie Zitronen, sagt Hubert Eckart von der Theatertechnischen Gesellschaft in der FAZ. Und ich bemerkte über die Berufsjahre am Theater, wie aus Worten Hülsen wurden, künstlerische Inhalte zu Hüllen verkümmerten. Hieß es doch plötzlich, Theater müsse gesellschaftsrelevant sein. Aber Kunst ist gesellschaftsrelevant, das muss man doch nicht betonen. Doch man musste es, weil Inhalte allein nicht mehr ausreichten, Publikum zu generieren. Aus einer gewissen Verzweiflung heraus beschrieb ein befreundeter Kollege es einmal so: im Publikum herrscht die Trägheit der Herzen. Anpassung an eine neue Zeit bedeutete also, gesellschaftliche Relevanz plakativ zu behaupteten, um die eigene Position zu legitimieren. Es veränderten sich die Verhältnisse in kürzester Zeit, die Ausgangsgründe Kunst zu schaffen, die Mentalität: Theater musste sich verkaufen. Quoten mussten erfüllt werden. Das führte zu erheblichem Stress innerhalb der Häuser, die doch frei sein, die Kritik an der herrschenden Verhältnissen leisten sollten. Diese Diskrepanz zwischen vernachlässigten Inhalten und dem reinen aus wirtschaftlicher Not heraus geborenem Performen von Relevanz führte mir schmerzlich vor Augen, wie stark sich eine neoliberale Ideologie in Herz und Verstand unserer Gesellschaft eingenistet haben. Und es wurde konkret, Personal wurde abgebaut, Produktionsdichten erhöht. Die Nachfrage an begehrten Stellen wuchs über die tatsächlichen Angebote. Die Abhängigkeiten von künstlerisch Beschäftigten führte vermehrt zu Machtmissbrauch, zu einer miserablen und die sozialen Standards der Gegenwart völlig unterbietenden Bezahlung und über allem schwebt die Angst vor der Nicht-Verlängerung. Angesichts inhaltlicher Leerstellen, wird das ausbeuterische Konstrukt spürbar. Das, was auf der Bühne gepredigt wird, wird Bigotterie, wenn die kritisierten Verhältnisse hinter der Bühne Alltag geworden sind.
Foto: Klaus Czernitzki

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